Righteous Jews
»Israel ist f�r viele ein Anachronismus geworden«


Interview by Sabine Matthes - (first published online July 16, 2005)

Gespr�ch mit Yakov Rabkin.* �ber das Verh�ltnis von Zionismus und Orthodoxie, militante evangelikale Christen f�r Israel und j�dische Antizionisten

* Zu den j�dischen Intellektuellen, die der Politik des Staates Israel kritisch gegen�berstehen, geh�rt auch der in Kanada lehrende Historiker Yakov M. Rabkin. Er beruft sich dabei nicht zuletzt auf j�disch-orthodoxe Positionen, die er in einer unl�ngst erschienenen Studie in ihrem geschichtlichen Horizont dargestellt hat.

Mit seinem Buch »Au nom de la Torah. Une histoire de l'opposition juive au sionisme« (Quebec 2004, 274 Seiten), dessen deutsche �bersetzung beim Abraham Melzer Verlag in Vorbereitung ist, leistet Yakov Rabkin einen wesentlichen Beitrag zur Unterscheidung zwischen den verschiedenen Konzepten von Judentum und Zionismus, j�discher und christlicher Zionismus, j�discher und christlicher Antizionismus.

Vom orthodoxen Judentum zeigt Rabkin ein wenig bekanntes, faszinierend provokatives Gegenbild. Die streng nach den Geboten der Thora lebenden Mitglieder der Neturei Karta etwa w�nschen die Aufl�sung des israelischen Staates, um, ebenso wie in anderen L�ndern auch, gemeinsam mit den einheimischen Arabern unter pal�stinensischer Regierung zu leben. Rabkin selbst vertritt die Vision eines gemeinsamen j�disch-arabischen Staates (den er in einem Artikel im j�dischen Magazin »Tikkun« als »Abrahamia« bezeichnete), nach dem Vorbild Kanadas oder dem neuen S�dafrika, mit deren reicher Erfahrung an Multikulturalit�t.

F: In der Debatte um den Nahostkonflikt kommt es immer wieder zu einer Gleichsetzung von Judentum, Zionismus und dem Staat Israel. Dabei wird Kritik an der Politik Israels auf j�discher und israelischer Seite h�ufig als Ausdruck des Antisemitismus delegitimiert. Umgekehrt droht in Europa das orthodoxe Judentum zunehmend mit der Haltung jener militant nationalreligi�sen Siedler identifiziert zu werden, die sich im Westjordanland und im Gazastreifen als eine Art Vorposten von »Eretz Israel« (Gro�israel) niedergelassen haben. Dabei wird vergessen, da� die radikalste Ablehnung Israels gerade auch von strenggl�ubigen orthodoxen Juden kommt, die ihren traditionellen Antizionismus mit der Thora begr�nden. Was hat Sie motiviert, das Buch »Im Namen der Thora« zu schreiben?

Es gab mehrere Beweggr�nde. Als Historiker f�hle ich, da� das allgemeine Verst�ndnis der Bedeutung von Zionismus in der judaistischen Perspektive fehlt. Als Intellektueller finde ich es unredlich, Juden, Israel und Zionismus in einer gro�en Verwirrung miteinander zu verschmelzen. Als Mensch halte ich es f�r wichtig, entscheidende Unterschiede zwischen Juden und Zionisten zu erkl�ren - zu den letzteren z�hlen heutzutage mehr Christen als Juden - zwischen Judentum und Zionismus, um die Ursachen antij�discher Gewalt, die in den letzten Jahren aufkam, zu beseitigen. Das Buch zeigt deutlich, da� man einen Juden in M�nchen nicht mit einem israelischen Soldaten in Gaza - der j�disch oder ganz und gar nicht j�disch sein kann - verwechseln sollte. Der Konflikt in Israel/Pal�stina - wie akut und tragisch auch immer - sollte nicht in andere L�nder importiert werden, wo Juden und Muslime in Frieden und Freundschaft leben k�nnen. Sie haben viel mehr Gemeinsamkeiten als trennende Unterschiede.

F: Wie sind die Reaktionen auf Ihr Buch?

Zum gr��ten Teil waren die Reaktionen enthusiastisch. Ich bin von gro�en internationalen Zeitungen interviewt worden, habe �ffentliche Vortr�ge gehalten und Dutzende Leser dankten mir schriftlich f�r die Kl�rung der Unterschiede zwischen Judentum und Zionismus. Einige Diaspora-Zionisten reagierten mit Feindseligkeit, ohne sich wirklich auf eine Debatte �ber den Inhalt meines Buchs einzulassen. Umgekehrt sind Israelis viel offener f�r eine Diskussion. Im Gegensatz zu Diaspora-Zionisten tun sie nicht so, als sei die israelische Gesellschaft geschlossen und einig hinter diesem kontroversen Problem.

F: Der politische Zionismus entstand im Geiste nationalistischer Ideologien des 19. Jahrhunderts. 1896 schrieb Theodor Herzl »Der Judenstaat« als Reaktion auf den wachsenden europ�ischen Antisemitismus. Wie war die anf�ngliche j�dische Haltung dazu?

Die urspr�ngliche Reaktion judaistischer Gelehrter war fast v�llig feindselig. Lassen Sie mich den israelischen Historiker Yosef Salmon vom Chaim-Weizmann-Institut in Tel Aviv zitieren, der die Gr�nde und die Heftigkeit dieser Feindseligkeit kurz und b�ndig erkl�rt: »Es war die zionistische Bedrohung, welche die schwerwiegendste Gefahr darstellte, weil sie danach strebte, die traditionelle Gemeinde ihres eigentlichen Geburtsrechts zu berauben, sowohl in der Diaspora als auch im Lande Israel, des Gegenstandes ihrer messianischen Erwartungen. Der Zionismus griff all die Aspekte des traditionellen Judentums an: durch sein Vorhaben einer modernen, nationalen, j�dischen Identit�t; durch die Unterordnung der traditionellen Gesellschaft unter neue Lebensstile; und durch seine Haltung zu den religi�sen Auffassungen von Diaspora und Erl�sung. Die zionistische Bedrohung erreichte jede j�dische Gemeinde. Sie war unerbittlich und umfassend, und stie� deswegen auf entschiedenen Widerstand.«

Der Zionismus provozierte auch Ablehnung unter den emanzipierten Juden in West- und Mitteleuropa. Sie sahen im Zionismus eine offenkundige Bedrohung ihrer Integration in die sie umgebenden Gesellschaften, als Deutsche mosaischen Glaubens oder »les Francais isra�lites«. Deswegen protestierten viele deutsche Juden gegen die zionistischen Pl�ne, ihren Gr�ndungskongre� in M�nchen abzuhalten, und der Kongre� wurde zuletzt in das gastfreundlichere, neutrale Basel verlegt.

F: Was ist der Unterschied zwischen j�dischem und christlichem Zionismus?

Einige Christen hatten mit der Idee einer Wiederherstellung j�discher Souver�nit�t im Heiligen Land gespielt. Diese Ideen wurden oft von Antisemiten unterst�tzt, die es lieber sahen, da� Juden ihre L�nder Richtung Pal�stina verlie�en. Heute gibt es eine Aufwallung eines neuen radikalen Zionismus unter jung entstandenen evangelikalen christlichen Gemeinden in vielen L�ndern. Die »Christian Coalition of America« steht f�r die totale Inbesitznahme des ganzen Heiligen Landes durch Israel, und sie z�hlt wesentlich mehr Mitglieder als es weltweit Juden gibt, die �brigens ziemlich gespalten sind in ihrer Meinung �ber Zionismus und Israel. Umgekehrt sind diese christlichen Zionisten vereint in ihrer gl�henden Unterst�tzung f�r die radikalsten zionistischen Aktivisten.

F: Kulturelle Zionisten wie Martin Buber und Judah Magnes traten auch nach der Shoa f�r einen gemeinsamen j�disch-arabischen Staat in Pal�stina ein. Sie waren gegen einen »j�dischen Staat«, weil sie f�rchteten, da� die Trennung von Juden und Arabern zur Vertreibung der einheimischen pal�stinensischen Araber f�hren w�rde, und zur Entstehung eines j�dischen »Sparta«, welches j�disches Leben und Ethik gef�hrden w�rde. Ihre Prophezeiung hat sich leider erf�llt. Warum hat ihre Idee gegen Herzls verloren? Ist sie noch am Leben?

Diese deutschen Juden waren echte Idealisten, denen j�dische Werte aufrichtig am Herzen lagen. Ben Gurion war ein Pragmatiker, der die j�dische Tradition verachtet hat und dem nur daran lag, soviel Land wie m�glich zu besiedeln. Er organisierte gewaltige politische Unterst�tzung in den USA und anderen L�ndern und gewann ziemlich leicht gegen die noblen Idealisten. Au�erdem spielte Ben- Gurion sehr schlau mit den Schuldgef�hlen vieler Europ�er und lenkte sie dahin, »die zionistische L�sung f�r das j�dische Problem« zu unterst�tzen.

Dennoch, die Idee eines gemeinsamen Staates f�r Juden und Araber ist noch lebendig und gewinnt langsam an St�rke. Laut Meron Benvenisti, dem fr�heren stellvertretenden B�rgermeister von Jerusalem, ist Israel seit 1967 ein gemeinsamer Staat, in dem einer Gruppe - pal�stinensische Araber - die politischen Rechte vorenthalten werden. Was seiner Meinung nach getan werden mu�, ist, ihnen diese Rechte zu geben und zu der sehr viel friedlicheren Koexsistenz zur�ckzukehren, wie sie vor 1948 bestanden hat. Seine Idee ist bekannt. Sie wird in Israel offen diskutiert und von einer Minderheit unterst�tzt. F�r viele ist Israel ein Anachronismus geworden, ein �berbleibsel ausschlie�enden Nationalismus des 19. Jahrhunderts. Aber letztendlich sind es die Menschen in Israel/Pal�stina, die sich entscheiden m�ssen, wie sie ihre Beziehung gestalten. Wir, die au�erhalb dieser Gegend leben, k�nnen Ideen entwickeln und vorschlagen, aber nicht aufdr�ngen.

F: Was ist die zentrale Bedeutung von »Exil« gem�� der Thora?

Gem�� der j�dischen Tradition sind Juden im Exil, um ihre S�nden abzub��en, ihr bestes moralisches Verhalten zu zeigen - in den Worten der Thora, »ein K�nigreich von Priestern und eine heilige Nation zu sein« - und daf�r zu beten, da� Gott sie ins Land Israel zur�ckf�hrt. Die zionistische Haltung ist radikal anders: Sie verl��t sich auf »j�dische St�rke«, um in das Land zur�ckzukehren. Wie Salmon richtig bemerkte, negiert der Zionismus das traditionelle Judentum und ist bestrebt, einen »neuen Hebr�er« zu erschaffen, mit Werten, die genau entgegengesetzt zu denen des Diaspora-Juden sind.

Der politische Zionismus m�chte mit dem transnationalen Konzept der Juden aufr�umen und sie »normalisieren«, damit sie eine Nation werden wie die Finnen oder die Polen. Sowohl das Hebr�ische als auch das Arabische verwenden das Wort »umma« als Bezeichnung f�r die Juden und die Muslime, jeweils eher als Gemeinschaft von Gl�ubigen denn als Nationen, die innerhalb politischer Grenzen gebunden sind. Tats�chlich wurden der Zionismus und Israel f�r viele Juden die Basis ihrer j�dischen Identit�t, etwas wovor Rabbiner zu Herzls Zeit gro�e Angst gehabt haben. Zionisten haben eine schwerwiegende Spaltung unter den Juden verursacht, deren Konsequenzen bis jetzt schwer vorhersagbar sind.

F: Was ist der Unterschied zwischen s�kularem und religi�sem j�dischem Antizionismus?

Religi�se Juden, die dem Zionismus ablehnend gegen�berstehen, m�chten das Judentum und sein au�ergew�hnliches Wertesystem bewahren. Ziemlich viele weniger religi�se Juden sind gegen den Zionismus, weil ihnen an j�dischen Werten etwas liegt, die letztendlich auch aus dem Judentum stammen. W�hrend die beiden j�dischen Gruppen sozial getrennt leben, sind ihre Ansichten �bereinstimmend.

F: Warum werden antizionistische Juden h�ufig als »selbsthassende Verr�ter« gebrandmarkt und dadurch zum Schweigen gebracht?

Politische Zionisten haben immer so getan, als ob sie die Vorhut des j�dischen Volkes w�ren. Das hat sie ziemlich intolerant gegen�ber jeglicher Opposition zum Zionismus gemacht. Diese Intoleranz schlug bereits 1924 in bewaffnete Gewalt um, als Jacob De Haan, ein antizionistischer Jurist in Jerusalem, eine Delegation von Rabbinern nach London organisierte, um dagegen zu protestieren, was sie als »den zionistischen Angriff« empfunden haben. De Haan wurde von Mitgliedern der Haganah, der zionistischen paramilit�rischen Truppe und Vorl�ufer der israelischen Armee, erschossen.

Im Internet gibt es eine Liste mit Tausenden von »selbsthassenden Israel-bedrohenden Juden«. Die Liste, die anscheinend von einer Gruppe von Faschisten verfa�t wurde, wirft weniger religi�se, progressive Juden zusammen mit traditionellen Rabbinern, was noch einmal beweist, da� die Urspr�nge der Opposition zum Zionismus im wesentlichen die selben sind: eine Verpflichtung, j�dische Werte hochzuhalten.

F: Religi�se antizionistische Juden wie die Neturei Karta scheinen am radikalsten und angreifbarsten, weil in ihren �ffentlichen Erkl�rungen die Behauptung, der Zionismus verk�rpere das Judentum, als eklatante L�ge bezeichnet wird. Sie nennen Israel einen »zionistischen Staat«, nicht einen »j�dischen Staat«. Was ist die Neturei Karta und wie ihr Standpunkt zu einem gerechten Frieden in Israel/Pal�stina?

Die Neturei Karta wurde in den 1930ern in Jerusalem gegr�ndet und bedeutet »die W�chter der Stadt«. Sie beabsichtigen, die zionistische Struktur des Staates aufzugeben und die ganze politische Kontrolle den pal�stinensischen Arabern zu �bergeben. Was die Bezeichnungen »j�discher Staat« und »hebr�ischer Staat« betrifft, mu� man kein Mitglied der Neturei Karta sein, um sie f�r falsch und gef�hrlich zu halten. Sie sind irref�hrend, weil sogar Herzl nur einen »Judenstaat« ins Auge gefa�t hat, keinen »j�dischen Staat«. Sie sind gef�hrlich, weil sie die Verwechslung von Religion und Politik fortbestehen lassen, und alle Juden und das Judentum mit Israel und seinem Verhalten assoziieren. Das wiederum verursacht antij�dische Gewalt. Meiner Meinung nach sollte kein Journalist diese Begriffe benutzen, au�er er oder sie m�chte solch eine Gewalt sch�ren.

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